Amelie Fried „Die Spur des Schweigens“ – Rezension

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Hallo ihr Lieben! Heute kommt eine neue Rezension von mir, mit der ich mich sehr sehr schwergetan habe. Sie ist auch sehr lang geworden – dabei habe ich schon versucht, mich auf das Wichtigste zu beschränken. Es geht um das Buch „Die Spur des Schweigens“ von Amelie Fried, das erst einmal nach einem spannenden und vor allem unglaublich wichtigen Thema klang. Danke an Randomhouse für dieses Exemplar zum Testlesen!

Worum geht es?

Es geht um die Journalistin Julia, die von ihrem Chef einen neuen Auftrag bekommt: Sie soll über sexuelle Übergriffe an einem sehr bekannten Forschungsinstitut berichten. Das Buch begleitet ihre Recherche, die Interviews mit Mitarbeiter*innen des Instituts und ihre Erkenntnisse. Genauso wird auch ein Einblick in Julias Privatleben vermittelt. Es geht um ihren verschwundenen Bruder, ihre kranke Mutter, ihre zwei besten Freundinnen sowie ihre schnell wechselnden Partner.

Wie ist es?

Meine Leseentscheidung wurde maßgeblich vom Cover (das mir wirklich gefällt!) und vom inhaltlichen Themenschwerpunkt beeinflusst. Ich war sehr gespannt, wie dieses doch oft schwierige Thema von sexueller Übergriffigkeit und sexuellem Missbrauch in diesem Roman thematisiert wird. Und was soll ich sagen? Ich könnte kaum enttäuschter sein. In diesem Buch schwang so vieles mit, das einfach nur in jeder Hinsicht diskriminierend, toxisch und erschütternd ist – und mich unfassbar wütend gemacht hat.

Das Hauptproblem ist der Umgang der Protagonistin mit den sexuellen Grenzüberschreitungen. Ich denke, es ist gewollt, dass Julia zu Beginn kaum eine Ahnung oder ein Verständnis für Sexismus besitzt und dies sich im Laufe des Romans ein klein wenig bessert. Dieser Fortschritt, beziehungsweise diese Charakterentwicklung, ist aber kaum zu erkennen. Kommen wir zu Julias Einstellung am Anfang: Sie betont ganz deutlich, dass sie keine Feministin ist. Und sie findet „die Aufregung um anzügliche Sprüche oder Blicke“ übertrieben, da sich so Frauen selbst zu Opfern machen. (S. 58). Allein hier schwingt schon einiges mit, denn machen sich Frauen zu Opfern? Oder sind sie in dieser Situation vielleicht Opfer?

Julia spricht mit Frauen, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind – und hat dabei so wenig Verständnis, dass es mir manchmal die Sprache verschlagen hat. Einerseits betont sie immer wieder, dass Frauen solche Übergriffe häufig erfinden, um sich an einem Man zu rächen oder diesem zu schädigen (S. 68). Gleichzeitig hat sie kein Verständnis dafür, dass die Betroffenen nicht sofort den Mund aufmachen und zu ihren Vorgesetzten oder der Polizei gehen (S. 59). Klar, weil es ja alles so einfach ist. Selbst im Gespräch mit den betroffenen Frauen schenkt sie diesen keinen Glauben: Vielleicht willst du dich nur wichtigmachen und ihm etwas anhängen (S. 195) und setzt diese Frauen extrem unter Druck: Wenn du nicht öffentlich aussagst, machst du dich mitschuldig und wirst zu seiner Komplizin (S. 284). Und auch nach einer „Befragung“ der Polizei à la „Was hattest du dabei an/Warst du betrunken/Hast du es vielleicht provoziert?“ nimmt Julia die Polizei in Schutz und behauptet, die betroffene Frau hätte etwas falsch interpretiert.

Doch dabei bleibt’s nicht. Leider enthält das Buch noch andere, unglaublich problematische Dinge. Hier kurz so manche Vorstellungen und Grundideen, die mir „Die Spur des Schweigens“ vermittelt hat:

1. Männlichkeit:

Richtige Jungs weinen nicht, wenn sie sich verletzen. Aperol Spritz ist übrigens unmännlich. Und ein „Schwanz ist das einzig Brauchbare an Männern“, haha. Aber Männer können auch richtig poetisch sein, denn so fragt sich einer: „Wofür hat er eine Freundin, wenn sie sich weigert, mit ihm zu schlafen?“ und das muss natürlich nicht weiter thematisiert werden. Ist klar.

2. Weiblichkeit:

Typischer Mädchenkram sind Turnen und Ballett, Diäten, sich vor Mäusen zu ekeln und das Shoppen zu lieben. Wie wahr und so ohne Klischees! Auch wird gefragt, für wen Frauen schön sein wollen? Doch nur für die Männer und um andere Frauen zu ärgern. (Das steht so wortwörtlich im Buch!!). Am krassesten auch dieser Satz: „Sie wird bestimmt nicht aus Versehen schwanger, dafür ist sie viel zu clever und ehrgeizig. Sie will etwas aus ihrem Leben machen.“ Denn NA KLAR, wer aus Versehen schwanger wird, kann natürlich nicht clever sein. Autsch.

3. Rassismus:

Dieses Buch ist so unglaublich rassistisch gegenüber Chines*innen. Es gibt platte „Witze“, es wird sich darüber lustig gemacht, dass natürlich alle Chinesen das R nicht aussprechen können und ach ja, wusstet ihr schon, dass chinesisches Essen nur „Affenhirn, Seegurke, Hund oder sonst etwas Ekliges“ ist? Außerdem gibt es ja schon so viele Chinesen, dass natürlich vollkommen gerechtfertigt die Angst besteht, dass es bald vielleicht nur noch Chinesen auf der Welt gibt.

Und die Moral aus der Geschichte

Bei diesem Satz musste ich das Buch für kurze Zeit zuschlagen: „Niemand sah so wenig nach einem Vergewaltiger aus wie dieser selbstsichere, braun gebrannte Schönling“. Denn klar, Vergewaltiger sehen alle gleich aus, deswegen ist es ja auch super easy, diese zu erkennen und sich vor diesen zu schützen. Ist klar. Schön ist auch, dass ein sexueller Übergriff, der der Protagonistin selbst passiert, nicht thematisiert oder angezeigt wird, denn für den gab es ja keine Beweise – also egal. Und die Geschichte endet damit, dass die Frauen, die Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden sind und damit vor Gericht gegangen sind, alle meinten: Hätten sie vorher gewusst, was auf sie zukommt (Verhandlungen, Medien, Öffentlichkeit) hätten sie nie etwas gesagt. Das ist doch mal ein so richtig ermutigendes Ende. Danke dafür.

Mein Fazit

Da wollte wohl jemand noch schnell auf den Zug aufspringen und auch ihren Senf dazugeben. Ich muss leider sagen, dass mich dieses Buch auf allen Ebenen enttäuscht, wenn nicht sogar entsetzt hat – obwohl ich wirklich sehr in das Buch vertieft war und es in Kürze verschlungen habe. Vielleicht eignet es sich für Menschen, die noch nie von Sexismus oder Feminismus gehört haben, als allerersten Denkanstoß. Doch ich denke selbst für die, schwingt so vieles mit, das einfach mal absolut gar nicht geht. Diesmal eindeutig keine Leseempfehlung!


Weitere Informationen

Titel: Die Spur des Schweigens

Autorin: Amelie Fried

Verlag: Heyne Verlag

Erscheinungsdatum: 31.08.2020

Seiten: 496

Noch mehr Infos zum Buch oder zur Autorin und eine Leseprobe findet ihr hier auf der Verlagsseite.


Luna.

4 Gedanken zu “Amelie Fried „Die Spur des Schweigens“ – Rezension

  1. Nachtwandlerin 19. Oktober 2020 / 22:19

    Liebe Luna,
    oh, vielen Dank, dass du zu diesem Buch eine Rezension verfasst hast! Ich habe mich jetzt beim Bloggerportal angemeldet und das Buch fast bestellt… Weil mich das Cover und prinzipiell das grundsätzliche Thema angesprochen haben. Aber als ich die Kurzbeschreibung gelesen habe, war ich raus. Da hat mich wohl meine erste Einschätzung nicht getäuscht, nach deiner Rezension bin ich jetzt ebenso fassungslos wie du…

    Nachdenkliche Grüße
    Alina

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    • lebensbetrunken 24. Oktober 2020 / 00:33

      Liebe Alina,
      es freut mich, dass ich dich (vielleicht) vor einem Fehlkauf bewahrt habe! (Und sehr cool, dass du jetzt auch beim Bloggerportal bist!) Ich verstehe genau, was du mit der Kurzbeschreibung meinst. Die hat mich auch abgeschreckt, aber leider fand ich das Cover und das grundsätzliche Thema so spannend, dass ich dem Buch doch eine Chance gab… Hm.
      Nachdenkliche Grüße zurück,
      Luna

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